Schweizerisiert die bundesdeutsche Parteienstaatsdemokratie!
Die Umfrage des Parteienforschers Prof. Gabriel in der StZ hat es uns erneut gezeigt: Es gibt keine pauschale Politikverdrossenheit. Jedoch erreicht das Unbehagen der Bürger über Ihre politischen Parteien neue Rekordwerte. Folglich stellt sich die Frage, ob die angebliche Politikverdrossenheit in der Bundesrepublik nicht vielmehr Ursache Ihrer tief greifenden Parteienverdrossenheit ist?
Ich versuche diese Frage zu beantworten, indem ich das Parteiensystem der Bundesrepublik mit dem Modell aus der Schweiz vergleiche.
Die wichtigste Aufgabe der Parteien ist es, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Das heißt, unsere Parteien spielen die entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die Werte und Interessen Ihrer Bevölkerung zusammenzufassen und gegenüber dem Staat politisch zu vertreten. So funktioniert das gleichsam in beiden parlamentarischen Demokratien. Aber warum ist das Schweizer Volk viel zufriedener mit Ihren Parteien, als das deutsche Volk mit den Seinigen?
Erstens: Die Schweizer Parteienvertreter im Parlament sind Teilzeitvertreter. Neben dieser Aufgabe haben sie noch Zeit, sich Wissen und Erfahrungen aus Ihren privaten Berufen anzueignen, welche sie in die Politik einbringen können. Dagegen unsere deutschen Volksvertreter: Sie üben in Ihrer großen Mehrheit Politik als Beruf aus. Daraus resultiert das ganze Bestreben der deutschen Politiker, Ihre Rolle in Partei und Parlament zu behalten. Deshalb ist ein Mandatsverlust für deutsche Parteipolitiker so existenziell und zudem noch viel bedrohlicher als für Ihre Schweizer Kollegen.
Zweitens: Auch die politische Kultur von Kleinheit und Mehrsprachigkeit der Schweiz begünstigt offenbar die Rollenkombination von Parlamentsmandat und privatem Beruf. In kleinen Wahlkreisen sind die Amtsinhaber näher am Bürger und Ihren Problemen. Deshalb erfahren Schweizer Politiker von ihren Bürgern vor Ort und am Arbeitsplatz mehr Anerkennung und Wertschätzung für Ihre politische Arbeit. Ist es nicht so, dass in Deutschland seit Jahren die persönliche Distanz zwischen Politikern und Bürgern immer größer wird?
Und drittens: Der wichtigste Aspekt zuletzt: Der knallharte Parteienwettbewerb in Deutschland blockiert zum Verdruss der eigenen Bürger wesentliche Gesetze zwischen unseren Parlamentskammern Bundestag und Bundesrat. Bei uns in Deutschland entscheidet sich Politik ausschließlich im Parlament. Aber eigentlich nur das, was schon vorher von Ihren Parteispitzen ausgekungelt und den Kammern zur Abstimmung vorgelegt wurde. In der Schweiz hingegen, hat das Parlament vor der Abstimmung "nur" das vorletzte Wort. Bekanntlich kann dort über ein Gesetz abschließend immer noch das Volk der Schweizer entscheiden! Der Volkswille, der sich dort genauso wie bei uns durch Parteien im Parlament repräsentiert, wird mit der direkten Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen ergänzt. Mit gutem Erfolg. Das beweißt uns doch der Zustand der Schweiz.
Dafür dürfen die wiedervereinigten Deutschen weder über Ihre eigenes Grundgesetz noch über ihre zukünftige europäische Verfassung abstimmen. Auch solche grundsätzlichen Fragen beschließen die bundesdeutschen Parteien bisher ohne Ihr eigenes Volk. Und ausgerechnet sie legitimieren das auch noch mit dem Hinweis auf die Regeln unserer Verfassung. Ist das nicht absurd? Warum wundern wir uns dann eigentlich noch über unser unaufhörliches, politisches Missvergnügen?
1 Kommentar:
Mir ist die Erklärung und der Vergleich mit der schweizer Parlamentarie zu schlicht. Insbesondere, dass darin die Verflechtung von Politik einerseits und Industrie, Handel und Geldwesen über Lobbyimus, Hinterzimmerlobbyismus und Korruption vollständig fehlt, was südlich und nordöstlich des Rheins sicher auch einen höchkritischen Vergleich erfordert.
Das ist wie der Vergleich zweier Schokoladenhohlfiguren mit dem Maßstäben der Bildhauerei. Ja, zwei Statuetten sind das auch, aber so viel mehr fehlt da einfach.
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